Niedrige Beweggründe (§ 211 StGB) bei Beziehungstaten? BGH 5 StR 479/22

Im Rahmen der Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Kiel hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) im Zusammenhang mit einer versuchten Tötung nach dem Ende einer Beziehung mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auseinandergesetzt. Der Angeklagte hatte, nachdem seine frühere Partnerin sich von ihm getrennt hat, versucht, diese durch Messerstiche zu töten. Fraglich war, inwieweit sich die vorherige Trennung des Opfers vom Angeklagten in diesem Zusammenhang auf das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auswirkt.

Niedrige Beweggründe sind eines der Mordmerkmale im deutschen Strafrecht, deren Vorliegen über den Unterschied zwischen einem Totschlag nach § 212 StGB und einem Mord nach § 211 StGB entscheidet. Aufgrund der deutlich höheren Strafandrohung des Mordes ist es unumgänglich, dass diese Mordmerkmale klar definiert werden.

Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe liegt vor, wenn der Täter aus Gründen handelt, die nach allgemein-sittlicher Würdigung auf unterster Stufe stehen und daher besonders verwerflich sind. Gefühle wie Zorn, Eifersucht und Wut können niedrige Beweggründe gem. § 211 StGB darstellen, wenn sie ihrerseits Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.

Anhand des vorliegenden Falls hat sich die Frage gestellt, ob die Enttäuschung über eine Trennung und die daraus folgende Reaktion des Täters auch von niedrigen Beweggründen getragen werden kann oder gar kategorisch ausgeschlossen ist.

Das Landgericht Kiel hat die niedrigen Beweggründe aufgrund der vorangegangenen Trennung von Opfer und Angeklagtem nicht angenommen, hierzu hat sich der BGH mit Beschluss vom 06.12.2022 korrigierend geäußert:

„Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Angeklagte am 10. Dezember 2021, seine frühere Freundin mit mehreren Messerstichen heimtückisch zu töten und verletzte sie dabei schwer, wobei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund des Zusammenwirkens einer Persönlichkeitsstörung und erheblicher Alkoholisierung erheblich vermindert war. Das (weitere) Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 – 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518; vom 15. Mai 2003 – 3 StR 149/03, NStZ 2004, 334) unter anderem mit folgender Erwägung abgelehnt: „Dies gilt umso mehr, als die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei (‚Es ist aus und vorbei!‘), was als Indiz weiterhin gegen die Annahme niedriger Beweggründe spricht.“

Dieser Erwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Niedrig ist ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40 mwN).

Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 – 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226 mwN), den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2020 – 5 StR 543/19, NStZ 2020, 617 mwN) oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527). Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 342 mwN). Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten – wie auch hier – der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat (vgl. näher MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 105; ders., NStZ 2022, 543, 544, jeweils mwN).

Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts (vgl. zur Relevanz bei der Bewertung eines Tötungsmotivs BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40) ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.“

Fazit

Dieser BGH-Beschluss hat insofern Bedeutung, dass das sonst häufig als „Auffangmerkmal“ genutzte Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe im Hinblick auf Beziehungstaten als nicht pauschal abzulehnen eingeordnet wurde. Vielmehr sind die vom BGH genannten Indizien im jeweiligen Einzelfall abzuwägen und es gilt genau zu beurteilen, auf welchen inneren Vorgängen die Enttäuschung des „Verlassenen“ beruht.

Dieser Entscheidung ist zuzustimmen, da sonst etwaige Beweggründe des Täters nach Trennungen kategorisch außer Acht gelassen würden und lediglich auf die kürzliche Trennung verwiesen werden würde. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass ein Täter gerade verlassen wurde und deshalb niedere Beweggründe zur Tötung seines Opfers entwickelt oder diese bereits hatte, sie jedoch während der Beziehung unterdrückt hat. Um allen denkbaren Fallgestaltungen gerecht zu werden, ist eine Einzelfallbetrachtung, wie vom BGH angeführt, unumgänglich.

Im vorliegenden Fall änderte sich durch die Revision im Ergebnis freilich nichts für den Angeklagten. Das Landgericht Kiel hatte den Angeklagten bereits auch wegen eines versuchten Heimtücke-Mordes schuldig gesprochen und lediglich das weitere Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe fälschlicherweise verneint. Die Revision wurde dementsprechend verworfen, da die Nachprüfung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.

Quelle: Website des Bundesgerichtshofs / Bild: OpenClipart-Vectors via Pixabay