Strafmündigkeitsalter: Senken oder nicht?

Infolge der Tötung eines zwölfjährigen Mädchen im nordrhein-westfälischen Freudenberg durch eine Zwölf- und Dreizehnjährige rückte die Frage der Strafmündigkeit jüngst erneut in den Fokus politischer und juristischer Debatten. Nicht zum ersten Mal wird nach wie vor über eine mögliche Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze von 14 auf 12 Jahre diskutiert.

Einige Politiker fordern in diesem Zusammenhang eine Anpassung des Jugendstrafrechts, da Kinder immer früher „reifer“ wären und es entsprechend schon in niedrigerem Alter zu schwerwiegenden Straftaten kommen könne. Auch die Vielzahl medialer Einflüsse, denen die jüngeren Generationen bereits seit ihrer frühen Kindheit ausgesetzt seien, beeinflusse die Prägung von Kindern und Jugendlichen enorm. Die Umstände seien andere als noch vor rund 50 Jahren. Zu dieser Zeit wurde die Strafmündigkeit auf das Alter von 14 Jahren festgesetzt. Auf diese Entwicklung müsse reagiert und eine Anpassung vorgenommen werden.

Allgemeines zur Strafmündigkeit

Erst einmal ist festzuhalten, dass weder im Strafgesetzbuch (StGB) noch im Jugendgerichtsgesetz (JGG) wörtlich von „Strafmündigkeit“ gesprochen wird. Die Strafmündigkeit umschreibt vielmehr den Zeitpunkt, ab dem ein Mensch damit rechnen muss, für eine Straftat strafrechtlich verfolgt zu werden. Um jungen Menschen einen Schuldvorwurf machen zu können, wird ein gewisser Entwicklungsstand vorausgesetzt. Dieser wird in § 3 JGG konkretisiert:

„Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

 Das Jugendstrafrecht setzt bereits hier einen Rahmen und gibt bestimmte Altersgrenzen vor:

Auf Jugendliche, also Menschen im Alter von 14 bis 17 Jahren ist stets das Jugendstrafrecht anzuwenden. Von 18 bis 21 Jahren gilt man als „Heranwachsender“. Auch hier kann, trotz Volljährigkeit, noch das Jugendstrafrecht Anwendung finden. Abhängig ist dies erneut von der Reife des Täters. Jugendliche und auch Heranwachsende sind in ihren Entwicklungsprozessen oft unterschiedlich weit. Es kommt vor, dass einigen von ihnen noch die notwendige Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit fehlt, während diese bei anderen gleichaltrigen schon erwachsenenähnlich ausgeprägt ist. Daher ist die Strafmündigkeit Jugendlicher und Heranwachsender im Einzelfall zu überprüfen und positiv festzustellen.

Bei Kindern, also Menschen unter 14 Jahren, wird das Vorliegen einer sittlichen und geistigen Reife, wie sie in geschrieben ist, gänzlich abgelehnt. § 19 StGB regelt entsprechend der Schuldunfähigkeit des Kindes:

„Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.“

Menschen unter 14 Jahren sind mithin „strafunmündig“. Sie können für ihre Taten strafrechtlich nicht belangt werden.

Ziele und Sanktionsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts

Ist das Alter der Strafmündigkeit erreicht, so stehen den Jugendrichtern verschiedene Mittel zur Sanktionierung von Straftaten zur Verfügung. Zu beachten ist jedoch, dass das Jugendstrafrecht andere Ziele verfolgt als das „Erwachsenenstrafrecht“.

Das Jugendstrafrecht soll als „Erziehungsstrafrecht“ zuvörderst weitere Straftaten vorbeugen und den Jugendlichen eine Chance auf Resozialisierung bieten. Im Unterschied zum „Erwachsenenstrafrecht“ kann und sollte Vergeltung niemals das Ziel sein, auch wenn dies aus Sicht der Opfer und deren Angehörigen zunächst unbefriedigend sein mag.

Strafunmündigkeit bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Staat nicht auf Taten Strafunmündiger reagieren kann. In Fällen wie jenem aus Freudenberg besteht stehts die Möglichkeit, Jugend- und Erziehungshilfe anzuordnen, die Fälle an Familiengerichte weiterzuleiten oder Fremdunterbringung in Pflegefamilien, Heimeinrichtungen oder auch Kinder- und Jugendpsychiatrien zu veranlassen.

Blick ins europäische Ausland

Innerhalb der europäischen Union wird die Strafmündigkeit unterschiedlich geregelt. In Italien, Österreich und Spanien liegt die Strafmündigkeitsgrenze ebenfalls bei 14 Jahren. Frankreich nimmt eine Strafmündigkeit ab einem Alter von 13, die Niederlande ab 12 und die Schweiz sogar bereits ab einem Alter von 10 Jahren an. In Schweden gelten Jugendliche hingegen erst ab 15, in Polen ab 17 und in Luxemburg sogar erst ab 18 Jahren als strafmündig. Im Durchschnitt setzen die meisten Länder der EU die Strafmündigkeit bei einem Alter von 14-15 Jahren fest. Deutschland bewegt sich damit also ziemlich genau im Mittelfeld. Hieraus lässt sich eine Reformbedürftigkeit der Strafmündigkeitsgrenze folglich noch nicht unmittelbar ableiten.

Was spricht für eine Herabsetzung?

Kritiker der Strafmündigkeit ab 14 Jahren führen häufig an, dass es vermehrt zu schweren Straftaten durch Kinder komme. Zudem entwickeln Kinder heute früher eine gewisse „Reife“ und ihr Unrechtsbewusstsein sei schon zeitiger ausgeprägt. Sie könnten gut zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Außerdem seien sie sich auch ihrer eigenen Strafunmündigkeit bewusst, was wiederum eigenes Fehlverhalten und Delinquenz fördere. Kinder wüssten also, dass ihre Taten keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen würden. Dem solle entgegengewirkt werden. Zudem stände dem Staat auch bei einer niedrigeren Strafmündigkeitsgrenze noch die Möglichkeit offen, durch Gutachten die geistige und sittliche Reife eines Kindes überprüfen zu lassen.

Was spricht dagegen?

Eine langfristige und erhebliche Zunahme schwerer Straftaten durch Kinder, so wie sie von den Befürwortern eine Herabsetzung der Strafmündigkeit beschrieben wird, lässt sich durch die polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) der letzten Jahre nicht verzeichnen. Auch in entwicklungspsychologischer Hinsicht kann noch nicht nachgewiesen werden, dass 12- und 13-Jährige mittlerweile weiterentwickelt sind als noch vor 50 Jahren und dadurch den für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit erforderlichen Grad an Selbstkontrolle entwickelt hätten. Zwar sei es Kindern schon früh möglich, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, eine vollumfängliche Fähigkeit die Folgen des eigenen Handelns einzuordnen und moralische Urteile zu fällen, sei jedoch oftmals erst ab einem Alter von 25 Jahren voll ausgeprägt.

Die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre könnte zudem auch ein Problem ökonomischer Natur mit sich bringen: bei besonders jungen Angeklagten müsse die Schuldfähigkeit stets gutachterlich überprüft werden, welches einen erheblichen Kostenaufwand mit sich bringen und Verfahren deutlich verzögern würde. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass das Verhalten von Kindern und Jugendlichen häufig von Impulsivität geprägt ist. Eine Androhung von Strafe hätte besonders bei dieser Altersgruppe wohl nur eine begrenzt präventive Wirkung. Verhinge man gegen Kinder schwerwiegenden Sanktionen wie beispielsweise Freiheitsstrafen, so wirke sich dies eher negativ auf deren Entwicklung aus. Desto jünger Strafgefangene sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese erneut Straftaten begehen und rückfällig werden. Mit einer früheren Sanktionierung würde man also eher den Grundstein für noch mehr Straftaten legen, was nicht das Ziel sein könne.

Fazit

Dass Taten wie jene aus Freudenberg erschreckend sind und die Gesellschaft in Aufruhr versetzen, ist zweifelsohne nachvollziehbar. Allerdings sollte der Erziehungscharakter des Jugendstrafrechts weiterhin stets im Vordergrund stehen und die Prävention und Resozialisierung das oberste Ziel sein. Eine bloße Gesetzesänderung würde langfristig gesehen nichts an der Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen ändern. Außerdem erscheinen die dem Staat bereits zur Verfügung stehenden Interventionsmöglichkeiten als geeignete Mittel, um den Zielen des Jugendstrafrechts nachzukommen und gerecht zu werden.

Es wäre unverhältnismäßig, aufgrund weniger schwerer Taten durch Kinder, allen Kindern den Schutz der Strafunmündigkeit zu verwehren, denn es bleibt festzuhalte, dass sich bei Kinderdelinquenz in der Regel um Bagatelldelikte wie Sachbeschädigungen, Ladendiebstähle oder Körperverletzungen handelt. Diesen sollte eher pädagogisch und nicht mit härteren Strafen entgegengewirkt werden.

In Fällen wie jenem aus Freudenberg ist es geboten, von einer vorschnellen und emotionsgesteuerten Entscheidung über weitreichende Änderungen der Gesetzeslage abzusehen. Vielmehr sollte rational die Ursachen früher Straffälligkeiten von Kindern ergründet und rechtzeitig Interventionsmöglichkeiten ergriffen werden, um Straftaten durch Kinder zu verhindern. Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit ist aufgrund dessen in jedem Fall abzulehnen.

Bild: PublicDomainPictures via Pixabay / Beitrag gemeinsam verfasst mit Frau stud. iur. Florence May, Leipzig