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Spezialreport StPO-Reform 2017: Alle Änderungen in praxisbezogener Form auf einen Blick
Stand: Oktober 2017
von Martin Voß, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Braunschweig (www.martinvoss.com)
Ziele und Hintergrund: Als eine der letzten Amtshandlungen der vergangenen Legislaturperiode haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens beschlossen, das am 24.08.2017 in Kraft getreten ist (BGBl. I, S. 3202). Grundlage des Gesetzes sind zwei verschiedene Gesetzesentwürfe. Zum einen der Entwurf zur Umsetzung der Empfehlungen der in dieser Legislaturperiode eingesetzten StPO-Expertenkommission, zum anderen der Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze. Hier stachen vor allem die Änderungen zum Fahrverbot und zur Anordnungskompetenz bei der Blutprobenentnahme hervor. Schlussendlich wurde im Gesetzgebungsprozess ein Gesamtpaket geschnürt, dem zusätzlich noch die Regelungen zur Online-Durchsuchung und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung hinzugefügt wurden. Inhaltlich reichen die Gesetzesänderungen vom materiellen Strafrecht über das Sanktionenrecht bis hin zu zahlreichen – kleineren und größeren – Änderungen im Strafverfahrensrecht.
Wesentliche Änderungen und Neuregelungen im Überblick:
- Materielles Strafrecht
- Erweiterung des Fahrverbots im Straf- und Jugendstrafrecht
- neue Regelbeispiele für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
- Ermittlungsverfahren
- Übertragung der Anordnungskompetenz bei der Blutprobenentnahme
- Regelung des „DNA-Beinahetreffers“
- Rechtsgrundlagen für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung
- Audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren
- Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren
- Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei
- Hauptverfahren/Rechtsmittelrecht
- Erörterungstermin zur Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung
- Eröffnungserklärung der Verteidigung
In diesem Report werden die Neuregelungen des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens in drei Kapiteln dargestellt – unterteilt in Neuregelungen im materiellen Strafrecht, im Ermittlungsverfahren sowie im Hauptverfahren, Rechtsmittelrecht und im Recht der Strafvollstreckung.
A. Materielles Strafrecht
I. Erweiterung des Fahrverbots im Straf- und Jugendstrafrecht
Das in § 44 StGB geregelte Fahrverbot als Nebenstrafe – nicht zu verwechseln mit der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß den §§ 69 ff. StGB – ist keine neue Idee und wird bereits seit Jahrzehnten diskutiert. Dementsprechend existierten in der Vergangenheit zahlreiche Gesetzesentwürfe mit einem entsprechenden Inhalt, diese gelangten jedoch nie zur Umsetzung. Ziel der Neuregelung ist es, eine Sanktionsalternative im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht zur Freiheitsstrafe für Personen zu entwickeln, für die eine Geldstrafe kein wirklich fühlbares Übel darstellt. Aus diesem Grund wurde die bisher auf mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs zusammenhängende Straftaten beschränkte Sanktion auf sämtliche Straftaten ausgeweitet – ohne den Charakter als Nebenstrafe zu verändern. So wurde nur der für die Anordnung des Fahrverbots erforderliche Verkehrsbezug in § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB gestrichen und weiter die Höchstdauer für das Fahrverbot von derzeit drei Monaten auf sechs Monate erhöht. Dagegen soll die maximale Dauer im Jugendstrafrecht weiterhin drei Monate betragen (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 JGG).
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat man die Regelung im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz zudem noch weiter ergänzt. Deshalb wurden in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB konkrete Vorgaben formuliert, wann – gerade bei Straftaten ohne Verkehrsbezug – die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt. Dies soll vor allem dann der Fall sein, wenn ein Fahrverbot zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann. Auch wurde eine flexiblere Gestaltung der Wirksamkeit des Fahrverbots für die Betroffenen eingeführt, um die Rechtspraxis von der Einlegung taktischer Rechtsmittel zu entlasten. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 StGB kann der Betroffene innerhalb von einem Monat nach Rechtskraft des Urteils den Zeitpunkt des Beginns des Fahrverbots selbst wählen. Die Regelung knüpft an die aus dem Straßenverkehrsordnungswidrigkeitenrecht bekannte Wahlmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG an, beschränkt allerdings die Zeitspanne von dort vier Monaten im strafrechtlichen Sanktionenrecht auf einen Monat.
Praxishinweis: Anders als noch der Referentenentwurf enthält der Regierungsentwurf auch eine Regelung zur Nacheinandervollstreckung mehrerer Fahrverbote. Damit entfällt das bislang vor allem aus dem Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht bekannte Taktieren um den Anordnungszeitpunkt bei mehreren Fahrverboten, damit diese im Ergebnis „parallel“ (= zeitgleich) vollstreckt werden. Im neuen Abs. 4 des § 44 StGB ist nunmehr bestimmt, dass die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen und damit die Fahrverbote auch nacheinander zu vollstrecken sind. Bei Mehrfachtätern kann sich dadurch die Gesamtdauer mehrerer zeitnah verhängter Fahrverbote spürbar verlängern. Die gleichlautende Änderung in § 25 Abs. 2b StVG schließt die Parallelvollstreckung von Fahrverboten künftig auch im Bußgeldverfahren aus. Abzuwarten bleibt zudem, ob die vorgenommene Erweiterung des Sanktionsspektrums im Bereich des Fahrverbots außerhalb der bereits jetzt erfassten Straßenverkehrsdelikte in der Praxis einen großen Anwendungsbereich haben wird. In Betracht kommen wohl ohnehin nur Delikte aus dem Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität. Ladendiebstähle oder Schwarzfahrten werden aber zu einem großen Teil von Personen begangen, die nicht über ein eigenes Fahrzeug verfügen oder eine Fahrerlaubnis innehaben.
II. Neue Regelbeispiele für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Ausgangspunkt der Änderungen des § 266a StGB war der Bedarf, zur wirksamen Bekämpfung von Schwarzarbeit den Unrechtsgehalt bestimmter Verhaltensweisen mit hohem Organisationsgrad besser abzubilden. Bei dem zugrunde liegenden Phänomen handelt es sich um die Nutzung inhaltlich unrichtiger Belege in der Weise, dass von sogenannten Service-Firmen Rechnungen ausgestellt und an Unternehmen weitergegeben werden, die illegal Arbeitnehmer beschäftigen. Die Unternehmen begleichen die Rechnung und verbuchen auf diese Weise ihre Schwarzlohnzahlungen, die sie zudem steuerlich absetzen und bei Betriebsprüfungen belegen können. Tatsächlich wird das an die Service-Firma gezahlte Geld von dieser aber an die von dem Unternehmen illegal beschäftigten Arbeitnehmer als Schwarzlohn weitergeleitet.
Nach geltendem Recht ist nur die Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege ein besonders schwerer Fall (§ 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB), unrichtige Rechnungen fallen nicht darunter. Die Rechnungen werden zudem in der Regel auch nicht „verwendet“, sondern vom Täter nur vorsorglich vorgehalten, um bei möglichen Betriebsprüfungen den tatsächlichen Zahlungszweck und damit die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse verschleiern zu können. Die neuen Regelbeispiele sollen diese Taten nunmehr erfassen. Dabei regelt § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 StGB den Fall, dass sich der Täter (Arbeitgeber) zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet. § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 StGB erfasst die bandenmäßige Begehung, also den Zusammenschluss von mindestens drei Personen zum Zwecke des fortgesetzten Vorenthaltens von Beiträgen und zum Verschleiern der Beschäftigungsverhältnisse durch nachgemachte, verfälschte oder unrichtige Belege. Eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse, etwa durch die Aufnahme der neuen besonders schweren Fälle in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO für die Telekommunikationsüberwachung, ist mit der Neuregelung nicht verbunden.
Praxishinweis: Auch hier dürften die Änderungen in der Praxis kaum Auswirkungen haben, da schon die bereits vorhandenen Regelbeispiele des § 266a StGB eher selten angewendet wurden.
B. Ermittlungsverfahren
I. Übertragung der Anordnungskompetenz bei der Blutprobenentnahme
Nach der Änderung des § 81a Abs. 2 S. 2 StPO ist für eine Blutprobenentnahme nunmehr keine richterliche Anordnung mehr erforderlich, wenn der Verdacht einer rauschbedingten Verkehrstat einschließlich fahrlässiger Taten im Raum steht (§§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 StGB). Die Neuregelung gilt nicht für andere körperliche Eingriffe, aber nach § 46 Abs. 4 Satz 2 OWiG auch für Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24a und 24c StVG. Im Ergebnis sollen Staatsanwaltschaft und Ermittlungspersonen anders als bisher eine gleichrangige Anordnungskompetenz besitzen. Die bereits seit längerem vom Deutschen Richterbund, aber etwa auch vom Deutschen Verkehrsgerichtstag vorgetragene Forderung, den Richtervorbehalt bei der Blutprobenentnahme jedenfalls im Bereich der Straßenverkehrsdelikte abzuschaffen, beruht letztlich auf der Änderung der Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug durch das BVerfG. Zuvor war es vor allem nachts gängige Praxis, bei dem Verdacht auf Alkohol am Steuer standardmäßig von einem Eilfall und einer damit gegebenen Anordnungskompetenz der Polizei für die Blutprobenentnahmen auszugehen. Im Jahr 2007 hat das BVerfG dann nach einer Reihe von Entscheidungen zur Annahme von Gefahr im Verzug bei Durchsuchungen die für diesen Begriff entwickelten Grundsätze auf § 81a Abs. 2 StPO übertragen. Damit der gesetzlich vorgesehene Richtervorbehalt faktisch nicht leerläuft, mussten die Strafverfolgungsbehörden daher auch für Blutprobenentnahmen in Eilsituationen zunächst versuchen, die Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen.
Die Entscheidung hat zu einem erheblichen Mehraufwand in der Praxis geführt, wobei die Auswirkungen allerdings von Bundesland zu Bundesland und selbst von OLG-Bezirk zu OLG-Bezirk unterschiedlich waren. In einigen Bundesländern besteht ein richterlicher Bereitschaftsdienst nur von 6 bis 21 Uhr, sodass die Staatsanwaltschaften den Standpunkt vertraten, dass innerhalb dieses Zeitraums keine richterliche Entscheidung eingeholt werden konnte und sie damit von der Polizei auch nicht benachrichtigt werden mussten. Für Bundesländer mit dieser Praxis wäre die im Referentenentwurf zunächst vorgesehene Regelung eines „Staatsanwaltsvorbehalts“ anstelle eines Richtervorbehalts nachteilig gewesen, weil nunmehr auch die Staatsanwälte zur Nachtzeit von der Polizei vorab hätten kontaktiert werden müssen. Diese Position setzte sich letztlich nicht durch, sodass im Regierungsentwurf eine gleichrangige Anordnungskompetenz von Staatsanwaltschaft und Polizei vorgesehen wurde. Die zuvor im neuen § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO nur allgemein umschriebenen Straßenverkehrsdelikte wurden durch konkrete Tatbestände ersetzt, was eine zusätzliche Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht erforderlich machte.
Praxishinweis: Gegen diese Auffassung der Gesetzesbegründung, die mit § 163 Abs. 1 StPO begründet wird, wird teilweise angeführt, dass die damit verbundene faktische Unterminierung der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft widerspreche und der Wortlaut des § 81a Abs. 2 Satz 1 StPO insofern unverändert geblieben sei. Die Änderung bedeute zudem die Legalisierung einer verbreiteten rechtswidrigen Praxis. Die insoweit angeführte Begründung, dass die Blutentnahme als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht sehr schwer wiege, gehe fehl. Denn der Rechtsschutz des Betroffenen werde so verkürzt, da eine richterliche Prüfung nun stets erst nachträglich stattfinde. Auf der anderen Seite wird die Entlastung der Praxis als prägendes Argument hervorgehoben.
II. Regelung des „DNA-Beinahetreffers“
Die bisher nicht statthafte Verwertung sogenannter Beinahetreffer aus DNA-Reihenuntersuchungen wird nunmehr durch die Änderung des § 81h StPO legalisiert. Ergibt der Abgleich einer DNA-Spur im Zuge einer Reihenuntersuchung, dass die Spur zwar von keinem der Untersuchten, aber aufgrund der teilweisen Übereinstimmung wahrscheinlich von einem Verwandten eines bestimmten Untersuchten stammt, war diese Erkenntnis nach bisheriger Rechtslage nicht verwertbar. Die Reform erweitert den Untersuchungsumfang des § 81h StPO jetzt dahingehend, dass nicht nur eine Übereinstimmung zwischen Material und den Teilnehmern der Maßnahme, sondern auch die genetische Ähnlichkeit untersucht wird. Berücksichtigung findet dabei die Verwandtschaft in gerader Linie sowie in der Seitenlinie bis zum dritten Grad.
Praxishinweis: Diese Erweiterung wird in mehrfacher Hinsicht als bedenklich kritisiert. So sei eine Reihenuntersuchung als Grundrechtseingriff außerordentlichen Gewichts nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig. Der Betroffene müsse die Tragweite seiner Einwilligung für deren Wirksamkeit aber einzuschätzen vermögen, was im Hinblick auf die Komplexität der DNA-Untersuchung und ihrer Wahrscheinlichkeitsresultate für Laien ein anspruchsvolles Unterfangen darstelle. Diese Problematik verschärfe sich mit der Erweiterung auf Beinahetreffer erheblich.
Unter diesem Gesichtspunkt sind an die Belehrung höchste Anforderungen zu stellen. Die Neufassung sieht aus diesem Grund vor, dass auf den automatischen Abgleich auf Verwandtschaftsverhältnisse und die Verwertbarkeit zu Lasten eines Verwandten hinzuweisen ist. Von entscheidender Bedeutung ist aber, ob dies im jeweiligen Einzelfall vom Betroffenen auch tatsächlich verstanden wurde. Die bloße Auflistung auf einem zu unterschreibenden Formularbogen wird diesen Anforderungen wohl zumeist nicht gerecht werden.
Praxishinweis: Weiterhin kann die Reihenuntersuchung bei den um eine Einwilligung ersuchten Betroffenen zu einem massiven Interessenkonflikt führen. Denn regelmäßig wird für diesen aufgrund des im Raum stehenden Verdachts einer schweren Straftat ein intensiver Entlastungsdruck bestehen, der das Bedürfnis nahelegt, die eigene Unschuld durch Einwilligung in die Untersuchung nachzuweisen. Nicht außer Acht gelassen werden darf aber, dass diese Möglichkeit nunmehr nur noch unter Inkaufnahme der Belastung eines nahen Angehörigen besteht. So führte schon die bisherige Rechtslage zu einem Streit über die Freiwilligkeit der Einwilligung, nun wird diese Problematik durch den zusätzlichen Konflikt zwischen den eigenen Interessen und einem gegebenenfalls bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO bzw. den zugrundeliegenden Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG weiter verschärft. Vor diesem Hintergrund ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob eine unter diesem Druck entstandene Einwilligung tatsächlich auch die Untersuchung auf eventuelle Beinahetreffer umfasst oder ob sie auf die Überprüfung der eigenen Täterschaft beschränkt war. So sind etwa zur eigenen Entlastung gemachte Aussagen im Ermittlungsverfahren in einem späteren Verfahren gegen einen Angehörigen nicht verwertbar, wenn der Zeuge sich dort auf ein Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Aus diesem Grund wird für die Reihenuntersuchung ein entsprechender Erlaubnisvorbehalt gefordert, der es dem zu Untersuchenden ermöglicht, sich zu entlasten, ohne einen nahen Angehörigen belasten zu müssen. Bei der Belehrung müsse ausdrücklich auf die Möglichkeit verwiesen werden, die Untersuchung auf den Ausschluss der eigenen Beteiligung zu beschränken.
Für die allgemeine DNA-Untersuchung stellt § 81e Abs. 1 Satz 1 StPO nunmehr klar, dass die Untersuchung die Erstellung eines DNA-Identifizierungsmusters umfasst und insgesamt nur zulässig ist, soweit dies zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist. Die Vorschrift bezieht sich zudem nicht mehr auf den teilweise umstrittenen Begriff des Spurenmaterials, sondern nur noch auf „Material“. Die molekulargenetische Untersuchung ist demnach unabhängig davon zulässig, ob es sich um Spurenmaterial im engeren Sinne handelt.
III. Rechtsgrundlagen für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung
Das absolute Streitthema im Zusammenhang mit dem Gesetzespaket waren in erster Linie die Neuregelungen zur Einführung der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung. Besonders unter den Stichworten „Überwachung von Messenger-Diensten“ oder „Staatstrojaner“ zogen diese Themen bereits im Vorfeld große mediale Aufmerksamkeit auf sich.
Der Grund für die Regelung zur Quellen-TKÜ ist die immer weiter voranschreitende Verschlüsselung der Telekommunikation infolge der IP-basierten Übertragung, bei der Datenpakete übermittelt werden, die mit automatisch generierten temporären Verschlüsselungsalgorithmen versehen sind. So kann diese Kommunikation nicht wie bisher durch Ausleiten der Telekommunikationsinhalte im öffentlichen Kommunikationsnetz überwacht werden, da eine Entschlüsselung schlicht zu aufwendig ist. Allerdings können die Inhalte der Kommunikation grundsätzlich noch vor Verschlüsselung bzw. nach der Entschlüsselung direkt am Endgerät des Absenders oder des Empfängers ausgeleitet werden. Eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für diese Spielart der TKÜ enthielt die StPO aber – anders als das Bundeskriminalamtgesetz – nicht. Folgerichtig war es in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob das Abhören direkt am Endgerät mittels einer Überwachungssoftware auf die bereits vorhandene Rechtsgrundlage des § 100a StPO gestützt werden konnte.
Um in diesem Punkt für Klarheit zu sorgen, wurde jetzt in § 100a Abs. 1 Satz 2 StPO bestimmt, dass „laufende Kommunikation“ während des Übertragungsvorgangs in Echtzeit auch auf dem Endgerät abgehört werden kann. In erster Linie ist davon die verschlüsselte Sprachtelefonie betroffen. Denn bei verschlüsselten Text- oder sonstigen Messenger-Nachrichten sowie Bildern lässt sich von einer „laufenden Kommunikation“ nicht mehr sprechen, weil der Übertragungsvorgang bereits in dem Moment beendet ist, in dem die Nachricht auf dem Gerät ankommt. Aus diesem Grund bestimmt § 100a Abs. 1 Satz 3 StPO, dass auch auf dem Endgerät gespeicherte Nachrichten überwacht werden dürfen, wenn ihre Ausleitung im öffentlichen Telekommunikationsnetz nicht erfolgversprechend ist, weil die Nachrichten verschlüsselt sind. Grundlage für diese Überwachung unter den Voraussetzungen für die Telekommunikationsüberwachung ist jedoch eine vorherige richterliche Anordnung, § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1b StPO. Somit ist es nicht zulässig, den gesamten (älteren) WhatsApp-Chat einer Person rückwirkend auszulesen. § 100a Abs. 1 Satz 3 StPO n.F. schafft insoweit für verschlüsselte Messenger-Nachrichten nur ein Äquivalent für das bereits vorher zulässige Überwachen von unverschlüsselten SMS. Den Anforderungen des BVerfG entsprechend ist außerdem technisch sicherzustellen, dass die genutzte Überwachungssoftware sowohl die Kommunikation von den sonstigen Inhalten auf dem Gerät als auch die einzelnen Nachrichten nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs trennen kann. Ist dies technisch nicht möglich, darf eine Überwachung auf der Grundlage des § 100a StPO nicht erfolgen.
Praxishinweis: Auch bei einem derart engen Verständnis bestehen Zweifel, ob die Regelung mit der Rechtsprechung des BVerfG in Einklang zu bringen ist. Dieser zufolge markiert die Beschränkung auf laufende Kommunikation in Abgrenzung zu gespeicherten Daten gerade die Grenze zwischen Art. 10 Abs. 1 GG und dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Die Vorschrift sei daher nicht mehr nur am Fernmeldegeheimnis, sondern am deutlich strengeren Computer-Grundrecht zu messen, dessen Anforderungen die Voraussetzungen des § 100a StPO nicht genügen würden.
Jedoch kommt dann eine Online-Durchsuchung gemäß § 100b StPO n.F. in Betracht, sofern eine entsprechende Katalogtat vorliegt. Danach dürfen sämtliche gespeicherte Inhalte auf informationstechnischen Systemen überwacht und aufgezeichnet werden. Um der deutlich höheren Eingriffsintensität dieser Maßnahme gerecht zu werden, ist die Anordnung einer Online-Durchsuchung im Vergleich zur Telekommunikationsüberwachung entsprechend an deutlich höhere Anforderungen geknüpft. So orientierte man sich an den Voraussetzungen für die Anordnung einer Wohnraumüberwachung und benötigt den Verdacht einer besonders schweren Katalogtat. Über die Anordnung der Maßnahme soll nicht der Ermittlungsrichter, sondern nach § 100e Abs. 2 StPO eine Kammer des Landgerichts entscheiden, welche die Maßnahme auch kontinuierlich zu überwachen hat.
Praxishinweis: Die Online-Durchsuchung dürfte nunmehr den schwersten Ermittlungseingriff in der StPO darstellen. Wegen der Vielfalt der auf Computern und Smartphones gespeicherten Daten aus allen Lebensbereichen ermöglicht die Maßnahme potenziell die heimliche Erstellung umfassender Persönlichkeitsprofile. Angesichts der damit verbundenen erheblichen Gefahren wird der Bürger vor derartigen Eingriffen besonders geschützt, namentlich durch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das an die Rechtfertigung von Eingriffen besonders hohe Anforderungen stellt. Im präventiven Bereich ist die Maßnahme nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen, das heißt für Leib, Leben und Freiheit der Person oder den Bestand des Staates. Ob und wann das Allgemeininteresse der Strafverfolgung ein Gewicht erlangt, das diese sehr hohe Hürde erreicht, ist bislang ungeklärt. Von vielen Seiten wird daher bezweifelt, dass der Straftatenkatalog in § 100b Abs. 2 StPO, der keineswegs nur Schwerkriminalität erfasst, den Anforderungen gerecht wird. Kritisch zu bewerten sei zudem, dass die Maßnahme nach § 100b Abs. 3 StPO in erheblichem Umfang auch gegen unverdächtige Dritte eingesetzt werden könne.
Das Vorhaben wurde ferner zum Anlass genommen, die §§ 100a ff. StPO geringfügig zu systematisieren. Dabei wurden die Anforderungen des BVerfG in Bezug auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und der Zeugnisverweigerungsberechtigten klarer gefasst (§ 100d StPO) und die Verfahrensvorschriften und Berichtspflichten in jeweils einer Vorschrift zusammengeführt (§§ 100e; 101b StPO).
IV. Änderung der Belehrungspflicht
Der § 136 Abs. 1 Satz 3 StPO wurde um den Hinweis auf die Kostenfolge des § 465 StPO erweitert, wonach der Beschuldigte gegebenenfalls die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Zwar stellt dies grundsätzlich nur einen Hinweis auf die Rechtslage dar, begründet aber dennoch die Gefahr, dass ein Beschuldigter unter dem Eindruck des ihm vermittelten Kostenrisikos auf die Inanspruchnahme eines Verteidigers verzichtet. Hier ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass die Änderung unter keinen Umständen dazu missbraucht werden darf, das Konsultationsrecht zu unterlaufen und den Beschuldigten von einer Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger abzuhalten.
Praxishinweis: Der Vernehmende wird sich daher streng auf den neutralen Hinweis auf die Kostenfolge zu beschränken haben, ohne diesen in irgendeiner Form auszuschmücken oder Ähnliches. Andernfalls kann die Belehrung fehlerhaft sein, was unter Umständen ein Verwertungsverbot nach sich zieht.
V. Audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren
Mit § 136 Abs. 4 StPO wird die bisher weitreichendste Regelung zur Aufzeichnung von Vernehmungen eingeführt. Zwar war eine solche Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen auch schon nach alter Rechtslage möglich, allerdings wurde in der Praxis kaum Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht. Die Neuregelung ermöglicht insofern – wie bisher fakultativ – die Aufzeichnung aller Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren. Zusätzlich dazu besteht nun aber eine grundsätzliche Aufzeichnungspflicht in Fällen, in denen ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt im Raum steht (§ 136 Abs. 4 Nr. 1 StPO) oder wenn dies der besseren Wahrung schutzwürdiger Interessen von Minderjährigen dient oder von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden (§ 136 Abs. 4 Nr. 2 StPO). Der Anwendungsbereich bleibt damit deutlich hinter den Empfehlungen der Kommission zurück. Die Dokumentation soll zum einen der Verbesserung der Wahrheitsfindung und zum anderen dem Schutz des Beschuldigten vor rechtswidrigen Vernehmungsmethoden dienen.
Als vorsätzliche Tötungsdelikte i.S.d. § 136 Abs. 4 Nr. 1 StPO sind versuchte wie vollendete Delikte gegen das Leben (§§ 211–221 StGB) sowie entsprechende erfolgsqualifizierte Delikte anzusehen, sofern der Vorsatz auf den Eintritt der schweren Folge gerichtet war. In der Praxis sollte stets eine Aufzeichnung erfolgen, sobald Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung gegeben sind, auch wenn die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit noch nicht eindeutig möglich ist. Ergeben sich erst während der Vernehmung Anhaltspunkte für eine Vorsatztat, ist umgehend die Aufzeichnung zu veranlassen.
Eine Aufzeichnung der Vernehmung muss nur dann erfolgen, wenn dem weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen. Hier kommen Konstellationen in Betracht, in denen die Vernehmung im Rahmen einer Nacheile oder Durchsuchung noch vor Ort vorgenommen wird. Allerdings kann auch dann die Aufzeichnungspflicht nur entfallen, wenn tatsächlich die Notwendigkeit einer sofortigen Vernehmung bestand. In der Praxis wird es regelmäßig möglich sein, den Beschuldigten zuvor in Räumlichkeiten mit Aufzeichnungsmöglichkeiten zu überführen. Die Möglichkeit einer Vernehmung an einem Ort ohne Aufzeichnungstechnik konstituiert für sich genommen noch keine entgegenstehenden äußeren Umstände. Zudem sind unter Umständen die Möglichkeiten mobiler Aufzeichnungsgeräte zu nutzen.
Praxishinweis: Die Regelung des § 136 Abs. 4 StPO tritt erst 2020 in Kraft. Erreicht werden soll in erster Linie eine Verbesserung der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens, also ein „besseres Protokoll“ der Vernehmung. Auf den Ablauf der Hauptverhandlung – insbesondere das Unmittelbarkeitsprinzip – hat die Neuregelung allerdings keinen nennenswerten Einfluss, so kann die Vernehmung des Angeklagten nicht etwa durch das Abspielen der Videoaufzeichnung einer früheren Vernehmung ersetzt werden. Ebenso wie es bislang zulässig ist, zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständnis ein Geständnisprotokoll zu verlesen, darf zu diesem Zweck auch die Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung vorgeführt werden (§ 254 Abs. 1 StPO n.F.). Auch Vorhalte aus der Vernehmungsdokumentation sind durch Abspielen der Aufnahme anstatt durch Verlesung des Vernehmungsprotokolls zur Aufklärung von Widersprüchen entsprechend möglich.
VI. Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren setzte nach bisheriger Rechtslage einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus; eine Ausnahme hiervon galt lediglich bei Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung, bei welcher der Verteidiger unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung bestellt wurde. Die Neuregelung sieht in § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO eine Ergänzung für richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren vor. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ist in diesen Fällen ein Verteidiger zu bestellen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit für das das Gericht, einen Verteidiger von Amts wegen zu bestellen, wenn es die Mitwirkung eines Verteidigers an der Vernehmung aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten für geboten hält. Zu beachten ist weiter die in diesem Zusammenhang geänderte Zuständigkeit für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren. War hierfür bislang in der Regel der Vorsitzende des Gerichts zuständig, das für das Hauptverfahren zuständig werden würde, obliegt die Pflichtverteidigerbestellung nunmehr nach § 141 Abs. 4 StPO einheitlich dem Ermittlungsrichter.
Praxishinweis: Entgegen der Empfehlung der Expertenkommission sieht die Neuregelung kein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten vor. Dem Recht der Pflichtverteidigung steht im Hinblick auf die bis zum 25.05.2019 umzusetzende RL (EU) 2016/1919 aber ohnehin eine weitreichende Umwälzung bevor, hoffentlich ist eine weitere Vorverlagerung der Bestellung zu erwarten.
VII. Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei
Völlig neu ist die nun in § 163 Abs. 3 StPO normierte Pflicht für Zeugen, bei der Polizei zu erscheinen und auszusagen. Denn nach der alten Rechtslage bestand diese Pflicht nur bei Ladungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts. Voraussetzung für eine verpflichtende Ladung durch die Polizei ist allerdings ein Auftrag der Staatsanwaltschaft, der jedoch auch durch eine generelle Weisung erteilt werden kann. Damit entschied man sich gegen den Referentenentwurf, der noch einen „einzelfallbezogenen“ Auftrag vorgesehen hatte. Die Kontrolle der Staatsanwaltschaft bleibt jedoch erhalten, da dieser die Entscheidung über die Zwangsmittel bei unberechtigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung des Zeugen obliegt. Trotz einiger Aufregung um diese Änderung, dürfte sie in der Praxis keine erheblichen Auswirkungen haben. Denn auch schon bisher war es der Staatsanwaltschaft möglich, nach Anordnung der Vorführung eines Zeugen diesen dann durch die Polizei vernehmen zu lassen.
Praxishinweis: In der Zukunft wird es also polizeiliche Vorladungen mit und ohne Erscheinenspflicht geben. Die Polizei hat in dem Ladungsschreiben unmissverständlich deutlich zu machen, um welche Art von Vorladung es sich handelt.
VIII. Nötigung als Privatklagedelikt
Der Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 bis Abs. 3 StGB wurde in den Katalog der Privatklagedelikte aufgenommen. Damit soll vor allem bei Nachbarschafts- und sonstigen privaten Streitigkeiten, bei denen die Nötigung mit anderen Privatklagedelikten wie Beleidigung oder Bedrohung zusammenfällt, eine einheitliche Verweisung auf den Privatklageweg möglich sein.
C. Hauptverhandlung/Rechtsmittelrecht/Strafvollstreckung
I. Hauptverhandlung
1. Recht der Befangenheitsanträge
Verzögerungen im Verfahrensfortgang sollen die Änderungen im Befangenheitsrecht vermeiden. Im Blickpunkt stehen Situationen, in denen kurz vor Beginn der Hauptverhandlung Ablehnungsgesuche gestellt werden, die dem Beginn der Hauptverhandlung entgegenstehen. Deshalb regelt der neue § 29 Abs. 1 Satz 2 StPO jetzt, dass die Hauptverhandlung jedenfalls bis zur Anklageverlesung durchgeführt werden darf, wenn ein Richter erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt wird. Zusätzlich soll zur Beschleunigung des Verfahrens bei Ablehnungsgesuchen beitragen, dass das Gericht dem Antragsteller entgegen der alten Rechtslage die schriftliche Begründung des Gesuchs aufgeben kann, wenn das Recht zur mündlichen Begründung eines Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung missbraucht wird (§§ 26 Abs. 1 Satz 2, 26a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 3 StPO).
Praxishinweis: Gerade bei besonders langen Anklageschriften werden nunmehr Verzögerungen vermieden, die Auswirkungen für die Praxis sind aber eher gering.
2. Erörterungstermin zur Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung
Der geänderte § 213 Abs. 2 StPO sieht die Einführung eines neuen Erörterungstermins vor, der vor allem die Förderung der Kommunikation und Transparenz im Vorfeld der Hauptverhandlung im Blick hat und sich von den bereits bekannten Erörterungsterminen der Strafprozessordnung unterscheidet. Denn die Neuregelung soll nicht den eigentlichen Verfahrensgegenstand und die Möglichkeit der Verständigung, sondern ausschließlich den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung betreffen. In der bisherigen Praxis erfolgte dies durch die Übersendung einer Ladung zum Termin unter Mitteilung des vorgesehenen Beweisprogramms des Gerichts. Dem Verteidiger stand es frei, zu diesem vorgesehenen Ablauf jederzeit Stellung nehmen zu können.
Praxishinweis: Zu beachten ist, dass dieser Termin einen Mehraufwand für alle Beteiligten bedeutet und fraglich bleibt, ob die dargestellten Abläufe wirklich erörtert werden müssen. Darüber hinaus sollte man nicht vergessen, dass eine durchaus realistische Chance besteht, dass im Rahmen eines solchen Termins am Ende doch über „die Sache“ gesprochen wird, was die ohnehin heikle Abgrenzung zum Erörterungstermin für eine Verständigung zusätzlich erschwert. Die Soll-Vorschrift wurde wohl auch deshalb auf besonders umfangreiche erstinstanzliche Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, beschränkt. Auch eine telefonische Abstimmung soll möglich sein.
3. Eröffnungserklärung der Verteidigung
Zahlreichen Kontroversen war bereits im Vorfeld die Einführung eines sogenannten „Opening-Statements“ für die Verteidigung ausgesetzt. Nach dem neuen § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO soll der Verteidiger nach der Verlesung der Anklage und vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache auf Antrag nunmehr die Gelegenheit erhalten, für diesen eine Erklärung abzugeben. Die zunächst für alle Verfahren vorgesehene Änderung wurde im Regierungsentwurf noch einmal deutlich eingeschränkt und soll nunmehr nur noch für besonders umfangreiche erstinstanzliche Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, gelten.
Von einigen Seiten wird jedoch angeführt, dass mit dieser Neuregelung eher sparsam umgegangen werden sollte, da sie für den Angeklagten in der Regel eher nachteilig sein dürfte. So stellt sich die Frage, was der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt überhaupt sinnvoll vortragen kann, das nicht an anderer Stelle eher angebracht wäre bzw. prozessual auch so vorgesehen ist. So sollte er bei rechtlichen Hindernissen für eine Strafbarkeit bereits im Ermittlungsverfahren, spätestens aber nach Zustellung der Anklage im Rahmen der hier vorgesehenen Stellungnahmemöglichkeit auf die Einstellung bzw. Nichteröffnung des Hauptverfahrens hinwirken. Des Weiteren sollten Beweise grundsätzlich nicht nach Verlesung der Anklage gewürdigt werden, sondern nach der jeweiligen Beweisaufnahme im Rahmen einer Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO.
Praxishinweis: Die neue Fassung schreibt ausdrücklich vor, dass der Schlussvortrag nicht vorweggenommen werden darf. Zudem ist zu beachten, dass der Verteidiger ohnehin jederzeit eine Einlassung für den Angeklagten abgeben darf. So muss der tatsächliche Nutzen der „Eröffnungserklärung“ erst noch abgewartet werden. Ein interessanter Aspekt ist aber, dass es für diese Erklärungen keine festen Regeln gibt, also auch besonders ausufernden Erklärungen mit dem Gesetz nicht wirksam begegnet werden kann. Die in § 243 Abs. 5 Satz 4 StPO vorgesehene Möglichkeit, den Verteidiger auf eine schriftliche Erklärung zu verweisen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde, hilft hier nur bedingt.
4. Fristsetzung für Beweisanträge
Damit die Gerichte eine Handhabe haben, zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellten Beweisanträgen wirksam entgegentreten zu können, wurde im Beweisantragsrecht eine Ergänzung des § 244 Abs. 6 StPO vorgenommen. In diesem Zusammenhang soll der Vorsitzende nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist für weitere Beweisanträge bestimmen können, nach deren Ablauf weitere Beweisanträge grundsätzlich im Urteil ablehnend beschieden werden können.
Praxishinweis: Schon vor der Neufassung war nach der Rechtsprechung des BGH eine Fristsetzung möglich – jedoch nur in engen Grenzen. Die geänderte Norm geht nun teilweise sogar darüber hinaus, da die Fristsetzung jetzt bereits nach Abschluss des amtlichen Beweisprogramms erfolgen und die Fristüberschreitung nicht mehr nur als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann. Nicht zu erwarten ist eine Aushöhlung des Beweisantragsrechts im Sinne einer Präklusion. Denn ein Wiedereintreten in die Beweisaufnahme ist nach wie vor erforderlich, wenn dem Antrag in der Sache nachzukommen ist.
5. Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung
Die Neufassung des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO sieht die Möglichkeit der Verlesung nichtrichterlicher Vernehmungsprotokolle in Fällen vor, in denen der Angeklagte nicht verteidigt ist und eine einvernehmliche Verlesung lediglich der Bestätigung seines Geständnisses dient und soll der Verfahrensbeschleunigung dienen. Ein weiterer Punkt ist die Möglichkeit, auf die Vernehmung ärztlicher Sachverständiger zu verzichten, und zwar in der Konstellation, dass die Verlesung eines ärztlichen Attests künftig unabhängig vom Tatvorwurf möglich sein soll, solange durch die Verlesung lediglich das Vorliegen einer körperlichen Beeinträchtigung bewiesen werden soll. Insoweit wurde der § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO geändert.
Praxishinweis: In der alten Fassung galt die Vorschrift ausdrücklich nur für „Körperverletzungen, die nicht zu den schweren gehören“.
6. Erweiterung der Hinweispflichten des Gerichts
Eine Erweiterung erfahren die Hinweispflichten des Gerichts nach § 265 StPO unter dem Aspekt der Förderung der Transparenz. Zur Steigerung der Fürsorgepflichten soll die Hinweispflicht sich nunmehr auch auf Fälle erstrecken, in denen nachträglich eine andere Maßnahme als die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge in Betracht kommt.
Praxishinweis: Darüber hinaus sollen auch solche Fälle einbezogen werden, in denen das Gericht dem Angeklagten in der Hauptverhandlung seine vorläufige Bewertung der Sach- oder Rechtslage mitgeteilt hat und nunmehr hiervon abweichen will, außerdem Fälle, in denen eine geänderte Sachlage im Interesse der Verteidigung einen Hinweis erfordert.
II. Rechtsmittelrecht
1. Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft bei der Revision
Nach § 347 Abs. 1 StPO ist die Staatsanwaltschaft in der Neufassung verpflichtet, in Revisionsverfahren eine Gegenerklärung abzugeben, wenn das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten wird und wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revision erleichtert wird.
Praxishinweis: Zwar wurde diese Änderung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung aufgenommen, für die Staatsanwaltschaften bedeutetet sie jedoch eher einen gewissen Aufwand. Aus diesem Grund dürften die praktischen Auswirkungen eher gering sein, zumal diese Pflicht auch bisher bereits in den Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren verankert war.
2. Einstellung des Verfahrens in der Revisionsverhandlung
In der Zukunft besteht zudem die Möglichkeit, auch im Revisionsverfahren Einstellungen gemäß § 153a StPO gegen Auflagen vornehmen zu können.
Praxishinweis: Zwar kann dies eine effiziente Variante der Verfahrenserledigung bedeuten. Teilweise wird jedoch angeführt, dass Fälle, die bis zum OLG bzw. BGH gelangen, in der Regel auch durch die Gerichte entschieden werden sollten. Die neu geschaffene Möglichkeit der Einstellung wird daher wohl nur im Ausnahmefall in Betracht gezogen werden.
3. Frist für Kostenbeschwerden
Die Frist für Kostenbeschwerden gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse gemäß § 464b StPO beträgt in der Neufassung zwei Wochen statt einer Woche. Damit sollen die Fristen für Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse vereinheitlich werden.
III. Strafvollstreckung
1. Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen Mehrfachtätern
Alles andere als leichte Kost ist die Neufassung des § 454b Abs. 3 StPO, die ohne vertiefte Kenntnisse im Bereich der Strafvollstreckung nur schwer zu verstehen ist und deshalb eines genaueren Blicks bedarf. Mit der Änderung soll therapiewilligen Verurteilten ein früherer Therapieantritt ermöglicht werden als dies bisher der Fall war. Allerdings kommt eine Strafzurückstellung i.S.d. § 35 BtMG zugunsten der Durchführung einer Drogentherapie nur dann in Betracht, wenn die entsprechende Straftat suchtbedingt begangen wurde. Im Klartext heißt das: Sollte der Verurteilte neben der suchtbedingten Strafe weitere Strafen verbüßen, die nicht in einem Suchtzusammenhang stehen, soll nach einer Entscheidung des BGH die Strafzurückstellung regelmäßig ausgeschlossen sein, da für sämtliche Strafen ein gemeinsamer Halb- bzw. Zweidrittelstrafzeitpunkt berechnet werden muss. Um einen drohenden Motivationsverlust zu vermeiden, zum Beispiel, weil die Verbüßung vieler nicht suchtbedingter kurzer Freiheitsstrafen die Zurückstellung längerer suchtbedingter Freiheitsstrafen erheblich verzögert, regelt § 454b Abs. 3 StPO nunmehr, dass nicht suchtbedingte Freiheitsstrafen vor der Zurückstellung der Strafvollstreckung und vor Antritt der Therapie vollständig verbüßt werden können. Insoweit wird eine Ausnahme von der in § 454b Abs. 2 StPO zwingend vorgeschriebenen Unterbrechung der Strafvollstreckung zum Halbstrafen- oder Zweidrittelstrafzeitpunkt vorgesehen.
2. Datenübermittlung durch die Bewährungshilfe
Die in den §§ 481 Abs. 1 und 487 Abs. 1 StPO für Bewährungshelfer geschaffene Möglichkeit, Erkenntnisse, die im Rahmen der Bewährungsaufsicht über den Verurteilten gewonnen werden, an die Polizei und die Einrichtungen des Justiz- und Maßregelvollzugs zu übermitteln, hat vor allem klarstellende Funktion. Grundsätzlich kommuniziert der Bewährungshelfer ausschließlich mit dem Gericht, das sodann über die Weitergabe der Erkenntnisse entscheidet.
Praxishinweis: In dringenden Fällen – etwa zur Abwehr einer dringenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut oder einer nicht möglichen rechtzeitigen Übermittlung durch das Gericht – kann es zweckmäßig sein, die Polizei oder die Einrichtungen des Justiz- und Maßregelvollzugs direkt zu unterrichten. Dies wurde nunmehr im Gesetz ausdrücklich verankert.
3. Zuständigkeitskonzentration bei der großen Strafvollstreckungskammer
Breite Zustimmung erfährt die Änderung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG zur Zuständigkeitskonzentration bei der großen Strafvollstreckungskammer. Hiervon betroffen sind Konstellationen, in denen von der Strafvollstreckungskammer zugleich über die Aussetzung der Vollstreckung einer zeitigen und einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder über die Aussetzung der Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe und die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist. Hier wurde jetzt eine einheitliche Zuständigkeit bei der mit drei Berufsrichtern besetzten großen Strafvollstreckungskammer begründet. Dies soll der Vermeidung des Mehraufwands dienen, der nach alter Rechtslage dadurch entstanden war, dass zwei Verfahren – vor der großen Strafvollstreckungskammer und der kleinen Strafvollstreckungskammer – nebeneinander durchgeführt werden mussten.
D. Fazit
Das Ziel des Gesetzgebers, das Strafverfahren effizienter zu gestalten und so vor allem für eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren zu sorgen, ist grundsätzlich begrüßenswert. Ob dies mit dem entsprechenden Gesetz tatsächlich gelungen ist, ist jedoch zumindest zweifelhaft. Die Große Koalition musste sich für die Neuregelungen teils harsche Kritik von vielen Seiten gefallen lassen. So wurde diese von der Opposition als „finaler Angriff auf die Bürgerrechte“ gewertet, der Deutsche AnwaltVerein sprach in diesem Zusammenhang von „einer Rechtsgrundlage für schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen“ und äußerte verfassungsrechtliche Bedenken. Negative Kritik gab es zudem vor allem auch aus dem Bereich der Literatur. So sei von der angekündigten großen StPO-Reform kaum etwas übrig geblieben. Die zahlreichen und grundlegenden Vorschläge, die die eingesetzte Expertenkommission 2014 und 2015 erarbeitet habe, hätten nur zu einem Bruchteil den Weg in das Gesetz gefunden. Aus der Praxis gab es jedoch auch Zustimmung in Bezug auf die verbesserten Aufklärungsmöglichkeiten bei gravierenden Delikten sowie einigen Vereinfachungen. Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Praxis werden völlig unterschiedlich beurteilt.
Noch bleibt ohnehin abzuwarten, ob alle Änderungen in ihrer jetzigen Form tatsächlich Bestand haben werden. Aufgrund der von vielen Seiten geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich das Bundesverfassungsgericht mit den vielfältigen Änderungen befassen wird. Vor allem die Online-Durchsuchung, die Quellen-TKÜ und die Einbeziehung der Beinahetreffer ist hier vielen ein Dorn im Auge.