Anklageschrift erhalten? Vorsicht vor gerichtlicher Willkür!

Sie haben eine Anklageschrift erhalten? Machen Sie auf keinen Fall den Fehler, bereits jetzt die Waffen zu strecken und sich mit einer Verurteilung abzufinden – noch ist es nicht zu spät. Ergreifen Sie die richtigen Schritte, vermeiden Sie unnötige Fehler!

Erhalt einer Anklageschrift: Analysieren Sie Ihre Situation!

Zunächst sollten Sie sich Ihre Situation vor Augen führen: Ist Ihnen eine Anklageschrift zugesandt worden, wurde zuvor ein Ermittlungsverfahren gegen Sie geführt. Darüber wurden Sie –  so sollte es zumindest sein, wenn es mit rechten Dingen zugegangen ist – bereits von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft informiert. Eine eventuelle Vorladung haben Sie aber ignoriert oder die Aussage oder die schriftliche Einlassung, die Sie bei der Polizei gemacht haben, hat nicht zu der gewünschten Einstellung des Verfahrens geführt. Die Staatsanwaltschaft ist nach den Ermittlungen vielmehr nun zu dem Ergebnis gekommen, dass ein hinreichender Tatverdacht gegen Sie vorliegt. Das bedeutet, dass aus der Sicht der Anklagebehörde eine Verurteilung in der Hauptverhandlung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Und aus diesem Grunde wurde Anklage gegen Sie erhoben.

Richtiges Verhalten im Zwischenverfahren

Nach Eingang der Anklageschrift bei Gericht ist ein neues Verfahrensstadium erreicht – das Ermittlungsverfahren ist abgeschlossen, es beginnt das sogenannte Zwischenverfahren. Die Staatsanwaltschaft hat die Anklageschrift mit den Akten an das zuständige Gericht versandt und dies mit dem Antrag verbunden, das Hauptverfahren – also das wiederum nächste und letzte Verfahrensstadium – zu eröffnen (§ 199 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung über die Eröffnung obliegt nun dem zuständigen Gericht (§ 199 Abs. 1 StPO).

Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (§ 200 StPO). Zeitgleich mit der Übersendung der Anklageschrift ist das Gericht dazu verpflichtet, Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Sie können sich also zur Anklageschrift äußern und unter Umständen einzelne Beweiserhebungen innerhalb einer bestimmten Frist beantragen (§ 201 StPO).

Sie sollten jetzt auf keinen Fall den Fehler machen, sich vorschnell gegenüber dem Gericht zur Sache einzulassen. Denn den derzeitigen Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft können Sie ohne Akteneinsicht ja gar nicht beurteilen. Dementsprechend wissen Sie auch nicht, was denn tatsächlich entlastend wirken könnte. Wer sich hier unbedacht äußert, begibt sich in die Gefahr, dies möglicherweise zu Lasten einer späteren Erfolg versprechenden Verteidigungsstrategie in der Hauptverhandlung zu tun. Denn durch die Einlassung geben Sie Ihre Verteidigungsstrategie quasi preis – die Staatsanwaltschaft hat nach einer Einlassung im Zwischenverfahren die Gelegenheit,  sich mit Ihren Angaben zu befassen und die Einlassung und spätere Beweiserhebungen z.B. durch spätere Nachermittlungen quasi zu „zerlegen“. Jeglicher taktisch oftmals sinnvolle „Überraschungseffekt“, der erzielt werden könnte, wenn entsprechende Anträge erst in der Hauptverhandlung gestellt würden, ginge verloren. Dies sollte bei der strategischen Vorbereitung bedacht werden.

Bei Anklageschrift unbedingt zunächst Akteneinsicht beantragen!

Die Erarbeitung der richtigen Strategie geht natürlich nicht ohne Akteneinsicht. Ihr erster Weg nach Erhalt der Anklage muss also zwangsläufig zu einem auf das Strafrecht spezialisierten Rechtsanwalt – idealerweise ein Fachanwalt für Strafrecht – führen. Dieser kann dann sodann für Sie Akteneinsicht sowie ggf. eine Verlängerung der Erklärungsfrist zur Anklageschrift und der Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen. Diese Frist ist in vielen Fällen äußert kurz (oftmals nur eine Woche) bemessen. Lassen Sie sie verstreichen, wird das Gericht in aller Regel per Eröffnungsbeschluss das Hauptverfahren eröffnen. Dabei ist die Anklageschrift nicht selten fehlerhaft, sodass Ihr Rechtsbeistand diese erfolgreich hätte rügen können.

Die Hinzuziehung eines Strafverteidigers bietet für Sie zudem einen weiteren ganz entscheidenden Vorteil: Denn auch nach Anklageerhebung besteht noch die Möglichkeit einer Einstellung – z. B. gemäß den §§ 153, 153a, 154 StPO. Also kann eine öffentliche Hauptverhandlung auch noch zu diesem Zeitpunkt verhindert werden und Sie müssen die teilweise daraus resultierenden Nachteile in gesellschaftlicher oder beruflicher Hinsicht nicht fürchten. Zum anderen stellen die gegebenenfalls erteilten Auflagen und Weisungen keine Strafe dar und haben auch nicht deren Auswirkungen. Auch ein Wechsel ins Strafbefehlsverfahren ist – sofern die Anklagevorwürfe zutreffend sind und Sie sich für eine geständige  Einlassung entscheiden sollten – zu diesem Zeitpunkt teilweise noch möglich, wodurch ebenfalls eine öffentliche Hauptverhandlung vermieden werden kann.

Willkür bei (Zwangs-)Beiordnungen durch das Gericht nicht selten

Unter Umständen übersendet Ihnen das Gericht nicht nur die Anklageschrift, sondern fordert Sie zugleich auf, einen Pflichtverteidiger Ihrer Wahl zu benennen. Dann liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) vor, den die StPO in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen vorsieht. Für Sie bedeutet das, dass Sie in der Hauptverhandlung auf jeden Fall einen Strafverteidiger benötigen, der Ihre Rechte ausübt und wahrnimmt – selbst dann, wenn Sie eine anwaltliche Vertretung gar nicht wünschen. Sie dürfen sich dabei Ihren Rechtsbeistand aussuchen und von diesem Privileg sollten Sie unbedingt Gebrauch machen! Denn wenn Sie nicht reagieren, sucht das Gericht eigenmächtig einen Anwalt für Sie aus (den sog. (Zwangs-)Pflichtverteidiger) – und dieser ist zumeist nicht die beste Wahl für eine optimale Verteidigung. Ganz im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass das Gericht einen Verteidiger benennt, bei dem sich das Gericht sicher sein kann, dass er diesem wenig entgegensetzen wird. Mit drastischen Worten: Sie können sich oftmals auf einen schlechten Verteidiger einstellen. Die gerichtliche Vergabepraxis derartiger (Zwangs-)Beiordnungen ist – vorsichtig formuliert – höchst intransparent. Nicht selten werden hier persönliche Beziehungen gepflegt und Bekannte oder Freunde und/oder deren Töchter und Söhne beigeordnet. Richter sind auch nicht dazu verpflichtet, darüber Auskunft zu erteilen, warum sie welchen Rechtsanwalt beiordnen. Auch besteht keine Verpflichtung, deren fachliche Qualifikation im Strafrecht zu überprüfen. Ebenso wenig muss eine gerechte Auswahl innerhalb der Anwälte des Gerichtsbezirks erfolgen. Es kann für die Beiordnungsentscheidung reichen, dass ein Rechtsanwalt dem Richter bei einem zufälligen Zusammentreffen in der Gastronomie des gemeinsamen Tennisclubs das letzte Stück der leckeren Schokotorte mit Sahne überlässt. Das Gesetz erlaubt Richtern faktisch eine Auswahl – salopp formuliert – „frei Schnauze“.

Beliebt sind bei Gerichten – ganz klar – im Allgemeinen Verteidiger, die wenig Schwierigkeiten machen und dem Gericht einen entspannten Arbeitstag garantieren (die sog. „Verurteilungsbegleiter“). Nehmen Sie sich vor dieser gerichtlichen Willkür in Acht und machen Sie von Ihrem Recht auf einen Pflichtverteidiger Ihrer Wahl unbedingt Gebrauch. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Sie sich bereits vor der Hauptverhandlung einer realistischen Chance auf eine erfolgreiche Verteidigung berauben, und zwar einer Verteidigung, die Ihre Interessen in den Vordergrund stellt und nicht die des Gerichts oder des Pflichtverteidigers, der es sich mit dem Gericht nicht durch eine konfrontative Verteidigung verderben will.

Dieser Beitrag ist auch als Rechtstipp bei anwalt.de erschienen.